Der Text ist für mich sehr persönlich und auch traurig, so habe ich noch nie darüber gesprochen. Aber ich denke, dass es sehr wenige Frauen gibt, die so erzählen können und wollen. Ich denke es ist gut, wenn man weiß, dass man nicht der einzige ist, dem es so geht. Und vielleicht kann jemand, der selbst über eine Abtreibung nachdenkt, noch besser verstehen, um was es geht.
Ich erinnere mich noch genau an diesen einen Tag. Es war der 5. Dezember, ein Tag vor Nikolaus. Ich war seit einer Woche überfällig und bin in den Drogeriemarkt spaziert, um mir einen Schwangerschaftstest zu kaufen. Ich war so aufgeregt. Einerseits hatte ich Angst, andererseits habe ich mich darüber, was sein könnte, gefreut. Gefühlschaos. Und dann später die Gewissheit… der Test war positiv.
Ich war zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause in Wien, sondern in Graz, wo ich studierte – meinem Freund wollte ich es persönlich sagen. Aber ich musste sofort mit jemandem darüber reden. Ich habe meine Freundin angerufen und es ihr erzählt. Sie konnte es auch kaum fassen. Meine Gefühle spielten verrückt und alles schien plötzlich so unrealistisch. Ich war doch gerade mitten im Studium, mit meinem Freund war ich erst seit zwei Monaten zusammen. Und kein Geld. Ich wusste schon immer, dass ich eines Tages Kinder haben wollte. Aber ausgerechnet jetzt?
Am nächsten Tag bin ich nach Hause gefahren. Ich hatte den positiven Schwangerschaftstest in Geschenkpapier eingepackt und wollte Thomas das Päckchen zu Nikolaus schenken. Als ich es ihm daheim überreicht habe, war er überrascht und sagte nur, dass er doch nichts für mich hätte. Er packte es aus – Stille. “Bist du schwanger?” “Ja!”, sagte ich und strahlte übers ganze Gesicht, weil ich mich mittlerweile mit dem Gedanken angefreundet hatte und mich freute, Mama zu werden. Doch nach und nach traten bei mir Zweifel auf, ob ein Baby jetzt das Richtige war. Auch wegen der Reaktion von meinem Freund, die nicht so war, wie ich mir gewünscht hatte.
In den Tagen darauf sprachen wir öfter von einer Abtreibung. Gleichzeitig surfte ich stundenlang im Internet, um Erfahrungsberichte von Frauen zu lesen, die schon einmal abgetrieben hatten. Ständig traf ich auf Berichte, in denen sie beschrieben, wie schlecht es ihnen seitdem geht. Dass sie das abgetriebene Baby nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Dass es ihnen psychisch schlecht geht.
Die meisten dieser Frauen hatten schlechte Erfahrungen gemacht und mir wurde immer mehr bewusst, dass ich keine Abtreibung wollte. Ich wollte mich nicht mein Leben lang verantwortlich dafür fühlen, dass ich ein Baby getötet hatte. Nur weil mein Freund und ich nicht im Stande waren, gut genug aufzupassen. Mir wurde klar, dass wir die Verantwortung für unsere Taten übernehmen mussten. Dieser Meinung war schlussendlich auch mein Partner, und wir freuten uns darüber, dass wir Eltern werden durften. Mit dem ersten Ultraschallbild von der Schwangerschaftsfeststellung war die Freude noch viel größer. Alle Verwandten, Freunde und Bekannten freuten sich mit uns.
Am 8. Januar hatte ich den nächsten Termin. An diesem Tag war ich mit einer Freundin in der Stadt einkaufen. Ich kaufte mir ein etwas weiteres Oberteil und lachte mit ihr in der Kabine noch darüber, dass ich bald nur noch weite Kleidung tragen könnte. Später fuhr ich mit meinem Freund zum Frauenarzt. Euphorisch und voller Vorfreude nannte ich ihn im Auto noch „Papa“. Beim Arzt waren alle wie gewohnt sehr freundlich und die Dame an der Rezeption erklärte mir, dass sie in der Zwischenzeit einen Mutter-Kind-Pass für mich vorbereiten würde. Dann war es soweit. Ich hüpfte auf den Stuhl und der Arzt begann mit der Untersuchung.
Doch plötzlich verstummte der sonst immer freundliche Arzt und verlor sein Lächeln – seine Miene versteinerte. Ich schaute auf den Bildschirm, dann wieder zum Arzt. Mir war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht bewusst, was vor sich ging. Ahnungslos schaute ich ihn an. Warum war er denn plötzlich so ernst? Er sagte nichts. Nach ungefähr eineinhalb Minuten sagte er traurig: „Es tut mir leid, aber ich kann keine Herzaktivität sehen“.
Es dauerte einige Minuten, bis mir bewusst wurde, dass ich nun doch kein Ultraschallbild von meinem Baby bekommen würde. Keinen Mutter-Kind-Pass bekommen würde. Keine weite Kleidung brauchte. Keine Mama sein würde. Ich brach in Tränen aus. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wollte auch sterben. Ich wollte mit meinem Baby gehen.
Die Tage darauf waren furchtbar. Ich wollte nicht mehr da sein. Das Verlangen nach einem lebendigen Baby in mir war so schrecklich stark, dass es kaum auszuhalten war. Ich dachte, dieser Schmerz in mir könnte nie wieder vergehen. Ich hasste mich so sehr dafür, dass ich je darüber nachgedacht hatte, dieses Baby abzutreiben. Und dann war es von alleine gegangen. Als hätte es gedacht, es wäre unerwünscht und wäre aus diesem Grund lieber selbst gegangen.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass man bei einer Fehlgeburt (normalerweise) keine Schuld trägt. Ich hatte das Baby ja nicht abgetrieben, wo ich es bewusst hätte entfernen lassen. Trotzdem plagt mich dieser Gedanke an manchen Tagen immer noch.
Zwei Monate später machte ich erneut einen Schwangerschaftstest – er war positiv. Ich war so unendlich glücklich und dankbar. Ich hüpfte herum wie ein kleines Mädchen. Aber die gesamte Schwangerschaft über hatte ich Angst, es wieder verlieren zu können. Gott sei Dank verlief alles gut und am 24. November 2015 brachte ich meinen ersten Sohn zur Welt. Sein Name ist Finn. Es war so unbeschreiblich schön. Es war das schönste Gefühl, das man sich überhaupt vorstellen kann. Zuerst war er noch in meinem Bauch und kurz darauf durfte ich ihn in den Arm nehmen und ihn kuscheln. Mein Baby. Ich wollte meinen kleinen Finn nie wieder loslassen.
Fünfzehn Monate später, am 24. Februar 2017, wurde ich zum zweiten Mal Mama. Auch diesmal verlief alles nach Plan und ich durfte einen zweiten gesunden Jungen zur Welt bringen. Er heißt Bruno. Die beiden erfüllen mein Herz und es gibt nichts Schöneres, als in ihre strahlenden Gesichter zu sehen. Dieses warme, ehrliche Lächeln.
Nach dem, was ich erlebt habe, könnte ich mir eine Abtreibung nie vorstellen. Ich bin froh darüber, dass ich mich damals dagegen entschieden hatte, obwohl der Zeitpunkt alles andere als gut gepasst hat. Leider habe ich dieses erste Baby verloren. Aber nicht, weil ich es “wegmachen” habe lassen, sondern weil die Natur es so entschieden hatte. Vergessen werde ich mein Sternchen – meinen kleinen Valentin – aber trotzdem niemals. Ich werde ihn immer in meinem Herzen tragen und ihn lieb haben. Genau so, wie ich Finn und Bruno lieb habe.
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